Die Unwetterlage vom 29.Juli 2005

 

Bericht zum 29.07.2005 von Wetterfuchs - Teil1  - Teil 2

Bildberichte aus Stuttgart

Analyse aus Ostdeutschland

 


 

Grundlegende Wettersituation

 

Die synoptische Situation war gegeben mit einem Langwellentrog über Westeuropa (Neigung zum CUT-OFF über Irland), dessen Achse zum Seegebiet westlich von Portugal gerichtet war und langsam Richtung  Westfrankreich schwenkte. Vorderseitig dieses Troges über Frankreich und dem westlichen Mitteleuropa lag Deutschland in einer von Südwesten herangeführten sehr warmen und feuchten Luftmasse bei in der Höhe bereits gut ausgeprägten Gradienten. Dabei gab es immer wieder kräftige Hebungsantriebe durch die in der Strömung nordostwärts ziehenden sehr kurzwelligen Tröge.

Hier die Verteilung Geopotenzial (500 hPa) und Bodendruck vom 29.07.2005, 0 UTC:

 

 

Geopotenzial und Temperatur (850 hPa) vom 29.07.2005, 0 UTC:

 

Am Tage zuvor (28.Juli 2005) waren in Baden-Württemberg noch verbreitet heiße Tage verzeichnet worden, zum Beispiel 33,7 Grad am Stuttgarter Schnarrenberg. Vorderseitig des Langwellentroges waren nun am Freitag, 29.07. 2005 in Verbindung mit der Nähe zum frontalen Bereich Luftmassen eingeflossen, die nicht mehr ganz so heiß, aber immer noch sehr feuchtlabil geschichtet waren.

Zum Mittag waren freilich die Eigenschaften der Luftmasse bodennah noch relativ trocken, die Basen von möglicher Konvektion relativ hoch. Allerdings ist hier bereits die potenzielle Labilität gut erkennbar mit möglichen Steighöhen bis ins Niveau über 200 hPa. Ich habe die "Labilitätsfläche" hier in diesem Stuttgarter Radiosondendiagramm rot markiert:

 

 

Labil ist eine Luftmasse im Radiosondendiagramm solange, wie die hier grün dargestellte Feuchtadiabate (ausgehend vom Kumulus-Kondensationsniveau) rechts der weißen dicken Temperatur-Zustandskurve liegt. Man sieht hier wunderbar, dass "normalerweise" für das thermisch bedingte Auslösen von Gewittern eine Temperatur von über 35 Grad hätte erreicht werden müssen. Dies ist die "Auslösetemperatur". Hier auch schön die Windzunahme in der Höhe zu sehen, während es ja bodennah zum Mittagstermin noch recht windschwach bei schwachen Druckgegensätzen war. Aufgrund der Trogvorderseite jedoch tritt dies jedoch in den Hintergrund, weil die Schichtung potenziell sehr labil ist und mit dynamischer Hebung die Gewitter nicht thermisch ausgelöst werden.
 

Hier eine T-Max-Karte von diesem 29.07.2005::

 

Die höchsten Werte also über dem Osten Bayerns und in Tschechien.

 


 

Chronologie

Ich selbst war an diesem Tage beschäftigt mit einem sehr interessierten Schüler, der ein Praktikum bei uns absolvierte. Der Gang in den Klimagarten wechselte sich ab mit dem regemläßigen Checken der Radarbilder, wie weit das frontale Geschehen über Osrfrankreich nach Osten vorangekommen war. Noch zeigten sich am Gimmel lediglich sanfte Cirren und harmlose Quellungen. Es war schwül, aber wie bereits erwähnt, nicht mehr so heiß wie am Tage zuvor.

Um 12 UTC erstreckte sich eine wellende Front vom Rhein-Main-Gebiet über Rhl-Pfalz, Saarland bis zum franzöischen Gebiet westlich der Vogesen. Entlang ihr gab es zu diesem Zeitpunkt bereits einige Gewitter, doch noch bewegte sich die Front nur langsam bzw. kaum ostwärts. Zudem noch über dem Nordosten abziehende alte Gewitterkomplexe, die sich auf dem Weg zur Ostsee nur vorübergehend abgeschwächt haben. Hier eine Karte mit Blitzentladungen der letzten Stunde (12 UTC):

 

 

Im Prinzip war nun nur die Frage, wann die ersten stärkeren Entwicklungen in der aufgeheizten, sehr warmen Zone vorderseitig der wellenden Kaltfront beginnen würden. Zwischen 15 und 16 Uhr (13 bis 14 UTC) jedoch gab es erste große Neubildungen über der Südschweiz und auch in den Vogesen. Mir fielen zu dieser Zeit im Radar sehr intensive Zellen auf, die sich dann im weiteren Verlauf Richtung Oberrhein verlagerten. Hier ein Radarshot von 16:25 Uhr MESZ. Im Vertikalschnitt ist der breite Sektor mit höchster Radarstufe deutlich zu erkennen. Die höchsten Reflektivitätsstufen reichten hoch bis 8 km Höhe (Hot Tower).

 

 

Nochimmer war die Spannung in der Dienststelle groß. Der Schüler war so interessiert, dass er immer noch anwesend blieb, wenn er auch schon längst nach Hause hätte gehen dürfen. Die ganzen Signaturen in den Modellprognosen zeigten die Gefahr starker Gewitter für den Abend. Immer noch war der Himmel über Stuttgart zu diesem Zeitpunkt lediglich mit Cirren und kleinen Quellies bewölkt, die Sonne hielt die schwülwarme Luft bei knapp 30 Grad.

Die Blitzentladungen zu dieser Zeit:

 

 

Temperaturen um 16 UTC. Beim Blick nach Südbaden fiel die Entstehung eines "Cold pool" auf, der aus dem Outflow aus Gewitterherden entsteht. Schlicht ausgedrückt, ein Kaltluftsee, der aufgrund den kalten Abwinden aus Gewittern entsteht. Diese Kaltluftausflüsse übernehmen bei diesen Wetterlagen gerne die Rolle der eigentlichen Kaltfront, die hier ja noch über Ostfrankreich lag.

 

 

Nun nahm das Geschehen seinen Lauf. In den kommenden 1,5 Stunden hatte eine Linie mehrer zusammenhängenden Gewittern von Südwesten her die Hälfte Baden-Württembergs überquert und die Rolle einer Kaltfront übernommen. Nun war ich auf dem Nachhausweg. Berufsverkehr. Hektik auf den Straßen. Immer wieder dicht auffahrende arrogante Drängler, grad die mit Sonnenbrille. Die bei denen der Bass aus dem Auto herausquillt. Grauenhaft, dachte ich mir. Hm. Nun, ich fuhr zusammen mit einem Kollegen, der Schülerpraktikant war nun auch nach Hause gegangen, wohl in Erwartung eines abendlichen Gewittergeschehens. Ich hatte Durst, noch schnell beim Plus etwas Bier und sauren Sprudel besorgt. Währenddessen zogen am Westhorizont bereits dunkle massive Wolkenmassive auf. Stratocumulus war gegen 18 Uhr der Hauptbestandteil der Bewölkung über Stuttgart, doch die Cb-Linie am Südwest- und Westhorizont war unübersehbar.

Ich hatte zu dieser Zeit keine Verbindung zum Internet, wusste also über die Entwicklung der letzten Stunde nicht Bescheid. Zuhause angekommen schaute ich aufs Radar, Satbild. Es war klar, dass Stuttgart getroffen wird. Der Blick nach Westen und Südwesten wurde immer dunkler und dunkler. Wie das Maul eines Ungeheuers riss sich eine Böenwalze auf, die zuerst fern am Horizont auftauchte. Blitze zucken darin, fast sekündlich.

Um 19 (17 UTC) Uhr abends wurde es so düster, als würde die Nacht hereinbrechen. Dabei war es ja Juli. Dieses Bild ist wegen fehlender Helligkeit und wegen Hektik nicht sehr scharf. Keine Nachbearbeitung und nicht dunkler gemacht, es zeigt die Lichtverhältnisse, wie sie waren zu dieser Zeit. Man sieht auch, wie hinter dem Böenkragen der Niederschlagsvorhang die Stadt von Südwesten her erreicht.

 

 

 

Der Niederschlagsvorhang hatte nun die Weststadt erfasst. Diese verschwand am Westhorizont, während in Stuttgart-Sommerrain der Wind immer stärker wurde. Das Rauschen der Blätter, die Dunkelheit, die ständig zuckenden Blitze vermittelten eine doch sehr bedrohliche Stimmung. Folgendes Video (bitte draufklicken) zeigt den Zeitpunkt, als der Guss gerade begann:

 

 

 


 

Der wilde Zauber des Sommers

 

Wenn der Sommer vor der Haustür steht
der Winter schnell von dannengeht

Die Massen türmen sich am Firmament
reich flammend Herzen mit erbrennt

Dunkle Berge tosen durch den Raum
wie mancher Drachen droht am Zaun

Wild tosend, schreckend und doch frei
so dass ich all Verzagen doch verzeih

 

Tausend Blitze gabs vom Wipfel
des Drachen oben auf dem Gipfel

Doch ist es nicht ein schönes Laster
wie Beute zuckt es dir ins Raster

Man fängt das ganze einfach ein
und nimmt es dann zu sich mit heim

Dem Blitzemonster letzter Grüße send
schillernd Bogen mich nun hell erblend

Das ist der wahre Zauber dass ihrs wisst
den man zu Winters Zeiten immer vermisst

 


 

Etwa zur gleichen Zeit zu Beginn des Unwetters mischten sich Hagelkörner mit einer Größe zwischen 5 mm und 1 cm Durchmesser in den Niederschlag. Dies ist auf diesem Video nicht zu überhören. Naheinschläge waren eher selten, die meisten Blitze zuckten in der Cb-Bewölkung.

 

 


 

Der Höhepunkt des Wahnsinns. Der Himmel wurde zwar wieder heller, aber Böen der Stärke 10 bis 11, geschätzt. Wenns 12 war, würde es mich nicht wundern (siehe Video). Dazu wie oben erwähnt leichter Hagel mit Durchmesser bis 1 cm, vereinzelte Körner. Allerdings: Schnarrenberg und Flughafen wurden von diesem Sturmereignis nicht erfasst und meldeten schwächere Böen (siehe Karte weiter unten). Daran sieht man, dass man im Prinzip mehr Wetterstationen haben müsste. In sommerlichen Gewittern sind die Unterschiede auf kleinstem Raum ja nun immer wieder unglaublich. Seht selbst (klick):

 

 

Zu diesem Zeitpunkt wurden Äste abgerissen, man hörte zwischenzeitlich krachende Geräusche. Die Sicht war fast bei 0, Bäume lagen quer in der Luft. Ja, es war wirklich eines der 5 schwersten Gewitter, die ich je erlebte. Hier eine Karte mit den Blitzen zu dieser Zeit. 18 UTC - Blitze der letzten Stunde.

 

 

Die Bodenwindfiedern um 18 UTC. Baden-Württemberg und vor allem der Großraum Stuttgart sind voll betroffen.

 

 

 Der "Cold-Pool" hatte Baden-Württemberg fast ganz überströmt. Die Gewitterlinie entwickelte Kaltfrontstrukturen so dass der Temperaturgradient bodennah durchaus beachtlich war. In Stuttgart-Sommerrain sank die Temperatur innerhalb 20 Minuten von 26 Grad auf 19 Grad. Wo zuvor noch schwüle und warme Luft zusammen der bedrohlich dunklen Wolkenstimmung das Bild prägten, so war es nun wieder heller, doch kühler und überall lagen Äste, Blätter oder sonstige Gegenstände herum. Hier eine Temperaturkarte von 18 UTC:

 

 

Luftdruck um 18 UTC: Mit der Passage der Gewitterherde hatte der Einbruch der ausgeflossenen Gewitterkaltluft (Outflow) eine Druckwelle generiert, was wunderbar an der folgenden Karte zu sehen ist. Hier sind die Bodenluftdruckwerte abgebildet (Beispiel: 104 bedeutet 1010,4 hPa, 098 bedeutet 1009,8 hPa)

 

 

Hier nun die Böenspitzen an den Wetterstationen, die mir vorlagen. Am Stuttgarter Flughafen wurde also nur 80 km/h Windspitzen gemessen und der Schnarrenberg sogar lediglich 72 km/h. Als ich diese Werte sah, war ich doch reichlich verblüfft, denn was in Stuttgart-Sommerrain los war, ist ja aus meinem Bericht deutlich geworden. Zeitraum 12 bis 18 UTC:

 

 

Und der Zeitraum 18 bis 00 UTC. Die Station in Niederstetten wurde nun getroffen und meldete somit auch eine satte Orkanbö mit 126 km/h Windspitze. Orkanböen auch im Erzgebirge, auch Sachsen wurde am spätem Abend ziemlich erwischt:

 

 

 

Das Geschehen war nun weitgehend abgezogen, leichter Regen blieb noch eine kurze Zeit lang erhalten und ich machte mich auf, um mich ein wenig unzusehen, wie es draußen so aussah. Dies ist mein Balkon kurz nach diesem Unwetter:

 

 

Das Regenmessgerät war zuvor leer. :-) Die Regenmenge in Stuttgart-Sommerrain: 26,2 mm in 35 Minuten:

 

 

Ich machte mich nun auf die Straße, um zu sehen wie es in der Umgebung so aussieht. Hier ein abgerissener Ast, was bestätigt, dass lokal höhere Böen geherrscht haben als das, was an den Stuttgarter Stationen gemessen wurde:

 

 

 

Der Verlauf des Abends. In Stuttgart tönten in der Ferne immer wieder die Sirenen der Feuerwehrwägen, doch die Gewitterfront war abgezogen und bewegte sich weiter nordostwärts. Was blieb war eine seltsame Stille. Kaum etwas zu hören außer fernen Feuerwehrsirenen, einzelnen Autos die unten an der Straße entlangfuhren. Nichtmal die Vögel hatten Lust, etwas zu sagen. Schäden an Häusern konnte ich nicht feststellen, so dass ich tippe, dass die WIndspitzen doch eher bei Bft 10-11 gelegen haben müssen. Doch dies ist natürlich schwer zu sagen, da solche Winde hier sehr selten sind und zudem die Unterschiede auf kleinstem Raum ohnehin sehr ausgeprägt sind.

Hier Windkarte mit den Bodnwindfiedern von 20 UTC (22 Uhr MESZ). Nördlich von Nürnberg teils total gegenläufige Windpfeile. Dies könnte  auf eingebettete Mesozyklonen oder einfach auch auf das Zusammenspiel von Inflow / Outflow bei den ganzen Windzirkulationsprozessen vor und an der Front hindeuten.

 

 


 

Blitzanimation des Tages

Vor allem Baden-Württemberg, Bayern, Thüringen und Sachsen wurden erwischt.

 

 


 

Hier noch die 24-stündige Regenmengen bis zum 30.07.2005, 6 UTC

Süden:

Norden:

 


 

Ein Gewittersturm der besonderen Art. Diese ausgeprägte Dunkelheit vor dem Niederschlag, die mächtige Böenlinie mit Druckwelle und rasantem Druckanstieg. Ich genoss ein Glas Wein und wertete meine Aufnahmen und Filme aus. Ich komme zu der Bestätigung, dass gerade bei sommerlichen Unwettersituationen die Stationsdichte möglichst groß sein muss. Ich hoffe mein Erlebnisbericht mit einigen synoptischen Grundlagen konnten das Interesse wecken.

 

 

Marco Puckert, 22.01.2007